Wir unterbrechen kurzzeitig die Serie zu der weltweiten Suche nach Antworten auf
die häufig durch Zecken übertragene bakterielle Infektionskrankheit Lyme-Borreliose, um mal wieder eine hoffnungsvoll stimmende Nachricht zu verbreiten.
Eine langwierige Lyme-Borreliose (LB) wird häufig mit Antibiotika behandelt, dabei ist die zeitliche Länge der Behandlung umstritten, was sich auch in
der kürzlich erfolgten Verabschiedung eines Gesetzes im US-Staat Virginia widerspiegelt.
Die Standard-Behandlung für Lyme-Borreliose sind oral oder intravenös verabreichte
Antibiotika bis zu 28 Tage. Viele LB-Patienten und einige Ärzte, die die Patienten im fortgeschrittenen
LB-Stadium behandeln, befürworten jedoch längere Behandlungsschemata.
Im Juli 2013 wurde im US-Bundesstaat Virginia ein Gesetz (House Bill 1933) verabschiedet. Ärzte sind nun gehalten, ihren Patienten folgende Informationen zu geben:
Ärzte müssen ihren Patienten erklären, dass der Standard-Borreliose-Bluttest in den ersten Wochen unwirksam ist (führt zu mehr als 60 Prozent falsch-negativer Ergebnisse, laut einer Studie der
Johns Hopkins-Universität).
Ärzte müssen
Patienten dahingehend beraten, dass sie sich erneut testen und/oder behandeln lassen, wenn ihre Symptome nach einem negativen Testergebnis persistieren.
"Dieses
Borreliose-Patienten-Gesetz durchzubekommen, war die härteste juristische Schlacht, die ich je gefochten habe", sagte Susan Green, Anwältin, LB-Patienten-Fürsprecherin und selbst Patientin.
Drei Jahre lang reiste sie von Bundesstaat zu Bundesstaat,
einschließlich Maryland, um ihren Fall den Politikern vorzustellen. Die Mitglieder der staatlichen medizinischen Gesellschaften argumentierten, das Gesetz sei
ein Eingriff in die Art und Weise, wie sie Medizin praktizierten.
Patienten und Borreliose-Experten beklagen, dass viele Ärzte sich weigern, eine LB zu diagnostizieren,
gleichwohl räumten die Centers for Disease Control (CDC) ein, dass Borreliose die am schnellsten wachsende
zeckenübertragene Krankheit in den USA sei.
Warum gibt es Widerstand gegen eine Borreliose-Diagnose? Advokatin Green meint, es sei in erster Linie ein Missverständnis, das sich aus zwei Problemen speise: "Leider sind die Ausbildung und die Sensibilisierung über
Borreliose, gerade auch im medizinischen Bereich, beklagenswert dürftig, verglichen mit der Häufigkeit der Krankheit. Und das zweite Problem bestehe darin, dass vielen Ärzte nicht klar ist, dass
die Tests, die sie bestellen, sehr limitiert sind."
Das zweistufige Testsystem der CDC (ELISA/Westernblot) ist ausdrücklich
nur für epidemiologische Zwecke gedacht, nicht als Grundlage für eine Diagnose beim behandelnden Arzt bzw. als Grundlage, ob Patienten eine Therapie erhalten, oder nicht. Und das, so Green,
stünde auch ausdrücklich auf der CDC-Website.
Hinzu komme, dass die IDSA (Infectious
Diseases Society of America) behauptet, es gebe keine chronifizierte Lyme-Borreliose. Sie erstellten Leitlinien, mit denen behandelnden Ärzten vermittelt werde, dass jede Borreliose nach
spätestens 28 Tagen Antibiotika geheilt sei. Green: "Sie haben sehr sehr viele Mitglieder und eine enorme Lobbymacht.
Ihren Leitlinien vertrauen die behandelnden Ärzte."
Dr. Anusha Belani, Spezialistin für
Infektionskrankheiten, folgt den Leitlinien der wissenschaftlichen und evidenzbasierten Forschung. Eine längere antibiotische Behandlung, sagt sie, erhöhe die Gefahr der Antibiotikaresistenz.
Nach der Behandlung könne es sein, dass Patienten Symptome zurück behalten.
Rob Cloutier wurde längere Zeit von seinem New Yorker Arzt mit Antibiotika behandelt. Dieser Arzt wurde wg. "übermäßigen Verschreibens von Antibiotika" von der Ärztekammer
überprüft.
"Mein Arzt hat sehr detailliert und gewissenhaft den Therapieverlauf beschrieben. Alles, was die Ärztekammer tat, war, ihn monatelang vom Praktizieren abzuhalten, indem sie immer wieder die
IDSA-Leitlinien zitierten und behaupteten, er würde zuviele Antibiotika verschreiben", sagt Cloutier.
Ken Poindexter
aus Myersville erkrankte. Es dauerte 15 Jahre bis er schließlich die Ursache seines Leidens diagnostiziert bekam. Borreliose. Doch die Versicherung weigerte sich für weitere Antibiotika,
insbesondere für Rocephin, zu zahlen. Poindexter konnte die Kosten für die Medikamente nicht aufbringen. Erst nach einer MRT, die eine lebensgefährliche Infektion des Warzenfortsatzknochens
hinter dem Ohr dokumentierte, bezahlte die Versicherung die Rocephin-Therapie. Jetzt hieß die Diagnose auch nicht mehr Lyme-Borreliose, sondern Entzündung der Pars
mastoidea.
Uneinigkeit
"Borreliose ist keine einfache Krankheit. Sie ist ein immunschwächendes Syndrom, das durch multiple, nebeneinander bestehende
Infektionen verursacht
wird und persistieren kann", sagt Dr. Joseph Jemsek, Spezialist für Infektionskrankheiten.
Bekannt wurde er für seine bahnbrechenden Arbeiten zur AIDS-Therapie. Inzwischen behandelt Jemsek vor allem Borreliosepatienten, von denen einige aus der ganzen Welt und aus weit entfernten
US-Bundesstaaten nach Washington, DC, in seine Praxis kommen.
"Ich würde sagen, dass Borrelia
burgdorferi, das primäre Bakterium (das Lyme-Borreliose verursacht), einer der genetisch hochbegabten Organismen auf der Erde ist.
Es kann in verschiedenen Wirten (Menschen und Tiere) existieren und entkommen. Es überlebt unter Bedingungen, die gewöhnliche Bakterien nicht überleben können. Es gibt 272 Zitate in medizinischen
Fachzeitschriften, die auf persistierende Borreliose verweisen", ergänzt Jemsek.
Die Auswirkungen können individuell verheerend sein
"Das Immunsystem kann die Bakterien eine Zeitlang kontrollieren, doch typischerweise gibt es einen Wendepunkt, z. B. längere schwere Stressbelastung, ein Trauma für den Körper (z. B.
Geburt). Wenn Patienten diesen Wendepunkt
erreichen, wird aus dem langsamen Abrutschen an der Klippe der freie Fall. Wie die Körper reagieren, hängt von der Stärke des Immunsystems ab", erläutert Jemsek.
Herausforderungen bei der Behandlung
Die Behandlung der Borreliose ist ein
Balanceakt und kann lange Zeit in Anspruch nehmen. Eine der großen Herausforderung sind auch Probleme, die durch die Therapie selbst verursacht werden.
"Es ist eine heikle Situation. Wir
wissen, dass es eine angeborene Toxizität bei dieser Krankheit gibt, die Entzündungen verursacht. Und wir wissen, dass diese Entzündungsreaktion verstärkt wird, wenn wir die
Bakterien töten. Dabei können Nervenzellen entweder unangemessen hoch-
oder heruntergefahren werden, was komplizierte Symptome erzeugt. So
gibt es Höhen und Tiefen, und wir versuchen in ausgewogener Weise damit umzugehen und die Reaktionen zu minimieren", sagt Jemsek .
Selbst wenn es zu einem
Gleichgewicht kommt, sprechen Borreliose behandelnde Ärzte nicht über eine Heilung bei fortgeschrittener Borreliose. Studien zeigen, dass Bakterien ihre eigene DNA mit der des Wirts verknüpfen, was
bedeutet, dass das Bakterien-Erbgut im Körper des Wirts bleibt.
"Mehrere Studien haben gezeigt, dass auch nach einer angemessenen Antibiotika-Therapie, die die überwiegende Zahl der infizierten Organismen beseitigt hat, die Bakterien in einen Ruhestatus
fallen, um vielleicht später wieder reaktiviert zu werden."
"Unser Immunsystem hat deutliche Schwierigkeiten mit der Kontrolle dieser Infektion.
Aber eine
zunehmende Erholung kann durch eine geschickte Vorgehensweise erreicht werden, einschließlich Antibiotika, soweit sie erforderlich sind, um eine immunologische Kontrolle zu bekommen.
Ich würde sagen, die meisten Leute, die wir sehen, zeigen signifikante
Verbesserungen und viele erholen sich erstaunlich gut."
Einige Ärzte möchten nicht mehr die traditionellen Antworten
geben, behandeln aber immer noch nicht auf Borreliose.
Green: "Diese Ärzte möchten die IDSA-Leitlinien nicht
überschreiten; sie fürchten die Aufseher in der Ärzteschaft. Es gibt eindeutig Ärzte, die von den
Ärztekammern für die häufige Verschreibung von Antibiotika aussortiert wurden."
Borreliose ist auch ein "Versicherungsleiden"
Auch wenn Ärzte chronische Borreliose behandeln, können
Versicherungsgesellschaften die Erstattung der Kosten verweigern. "Versicherungen folgen traditionell den
IDSA-Leitlinien. Sie nutzen diese Leitlinien zur Rechtfertigung für ihre limitierte Therapiekosten-Deckung", berichtet Green.
Unterdessen veröffentlichten die CDC einen
Bericht im August 2013, in dem es heißt, ihre letzten Berechnungen von 30.000 neuen Borreliose-Fällen pro Jahr seien wohl falsch. Nun schätzen die CDC, es gebe 300.000 neue Fälle pro Jahr in den USA. Diese Zahl basiert allerdings nur auf 13
Bundesstaaten. Viele Ärzte in den übrigen Bundesstaaten
untersuchen erst gar nicht auf Borreliose, da sie glauben, in ihrem Bundesstaat gebe es gar keine Borreliose.
Einige Gesundheitsämter bestehen darauf, dass es in ihrer Region gar keine Borreliose
gebe
Green: "In Florida gab es einen
Zeitungsartikel, in dem behauptet wird, die Zugvögel würden die Krankheit verbreiten, weil Zecken Vögel bissen, aber keine Menschen. In North Carolina behauptet man, Zecken beißen nur Tiere, keine Menschen."
An dieser Stelle möchte ich aus
eigener leidvoller Erfahrung anfügen, dass mir mehrere Ärzte in den USA - wir lebten in North Carolina - ernsthaft versicherten: "There is no Lyme disease in North Carolina!" Als ich meine
positiven Testergebnisse u. a. mit Bb und dem europäischen Erreger "B garinii" auf den Tisch legte und sagte, ich sei wohl noch in Deutschland infiziert worden, hieß es nur achselzuckend: "Forget
about Lyme disease." Mit dreieinhalb Wochen oral verabreichtem Doxycyclin sei ich ausreichend behandelt worden. Das könne auf gar keinen Fall mehr Lyme-Borreliose sein. Es müsse etwas Anderes
dahinter stecken ...
Doch Fortschritt ist möglich, glaubt Green. Aus ganz Virginia kamen die Menschen, um für
das neue Gesetz zu plädieren. Green: "Wir hatten Leute in Rollstühlen. Wir brachten kranke Kinder, die mit ihren IV-Ports kamen. Sie alle erzählten
ihre Geschichten. Vor zwei Jahren, als wir zu den Delegierten gingen, wollte keiner über
Borreliose sprechen. In diesem Jahr standen sie auf und weinten."
Mit jedem Mal, wenn ein
Politiker, ein Prominenter oder eine andere Person mit einer Stimme und Präsenz in der Öffentlichkeit erkrankt, wird die Borreliose mehr Aufmerksamkeit erhalten.
"Wir haben einen langen Weg zu gehen, aber wir
werden langsam alle überzeugen, dass Borreliose überall ist, und wir aktiv danach schauen müssen", so Green.
Gemäß den CDC gehört Maryland zu den Top-13 Bundesstaaten für
Borreliose-Prävalenz.
B. Jürschik-Busbach © 2013
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Ingeborg (Saturday, 16 November 2013 14:57)
Liebe Birgit,
herzlichen Dank für den hoffnungsvollen Bericht.
(Green: "Sie haben sehr sehr viele Mitglieder und eine enorme Lobbymacht. Ihren Leitlinien vertrauen die behandelnden Ärzte.")
Diese Lobbymacht bestimmt auch in Deutschland/Europa das Leid unendlich vieler Chroniker. Ärzte die eigentlich dem Wohl der Patienten verpflichtet sind, bestehen bewußt auf falsche Leitlinien.
Thomas H. (Sunday, 17 November 2013 19:52)
Liebe Birgit,
ganz herzlichen Dank für deine Recherche und diese Veröffentlichung. Wir sind gefordert, diesen Hoffnungsschimmer auch in Deutschland und den benachbarten Ländern weiter ins Bewußtsein zu rücken, unter den Ärzten und Kliniken, Ärztekammern und Politikern, Krankenkassen, Renten- und Unfallversicherungen ...
Danke schön!