Borreliose: Wütende Patienten vor der IDSA-Zentrale

Fragen Sie sich gerade wer oder was ist die IDSA? Nun, die IDSA ist die US-amerikanische Gesellschaft für Infektionskrankheiten, eine private   medizinische Vereinigung, in der Ärzte, Wissenschaftler und andere Gesundheitsexperten, die sich mit Infektionskrankheiten beschäftigen, organisiert haben. Laut ihrer Website wollen sie die Gesundheit der Menschen und der Gesellschaft verbessern, indem sie die Exzellenz in der Patientenversorgung fördern. Auch die weiteren, auf der Website propagierten Wertvorstellungen treiben Borreliosepatienten eher die Tränen in die Augen. Tränen der Wut, der Enttäuschung und des Schmerzes.

 

Die Inzidenz der Lyme-Borreliose und anderer zeckenübertragener Infektionen wächst in mehr als 65 Ländern weltweit; gleichzeitig gibt es immer noch keine adäquaten diagnostischen Tests, die bei der Masse der Bevölkerung eine schnelle, zuverlässige Diagnose ermöglichen. Forschungsfortschritte werden allenfalls in Zeitlupe gemacht, da sich die medizinisch-wissenschaftliche Community weltweit noch nicht einmal auf gemeinsame Antworten der zahlreichen unbeantwortet bleibenden Fragen zu Borreliose & Co. einigen kann. Interessanterweise gibt es mehr und mehr Stimmen aus der Wissenschaft, die laut aussprechen, dass der Schlüssel zu den vielen ungelösten Problemen rund um die Borreliose bei ihrer Ähnlichkeit zur Syphilis (beide Krankheitserreger gehören zur gleichen Bakteriengattung, Spirochäten) und ihrer Fähigkeit chronisch zu werden, liegen könnten.

 

Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC sind chronische Erkrankungen für 70 % der Todesfälle und für 75 % der Kosten in den USA verantwortlich. Höchste Zeit sich den zeckenübertragenen Infektionen zuzuwenden, oder?  Die CDC verweist auf die Borreliose-Leitlinien der IDSA und sorgt damit für die Lufthoheit und Deutungsmacht dieser Gesellschaft. Ärzte und Sozialversicherungen orientieren sich an diesen Leitlinien und leider auch alle nationalen medizinischen Gesellschaften.


1967 trafen sich zwei bescheidene Gruppen zum Abendessen, mit dem Ziel, das wachsende Wissen über Infektionskrankheiten für die Mitglieder und vielversprechenden Forschungskollegen zu kultivieren. Doch irgendwann muss bei der nun über 9000 Mitglieder zählenden IDSA furchtbar schief gelaufen sein.

 

Am 22. und 23. Mai 2014 protestieren Hunderte wütender Borreliose-Patienten vor der IDSA-Zentrale. Verzweifelt versuchen sie die IDSA dazu zu bewegen, die Borreliose-Leitlinien zu überarbeiten. Leitlinien, die für eine Verlängerung und Verschlimmerung ihrer Krankheit sorgen.

 

In der Tradition von ACT UP, der AIDS-Aktivistenbewegung , die sich in den 1980er Jahren zusammen tat, weil die Patienten wie die Fliegen starben und es offenbar niemanden kümmerte, stellen sich die Borreliosepatienten vor dem IDSA-Gebäude auf und fordern Änderungen  bei den Diagnosekriterien und den Behandlungsprotokollen.

Kranke, viele von ihnen in Rollstühlen oder mit Infusionsschläuchen, legen sich zum Die-In vor das Büro, das ursprünglich für das Abendessen der IDSA-Mitglieder gedacht war. Ein LKW umkreist das Gebäude im Laufe der Tage immer wieder, mit der Botschaft: "Sagt der IDSA, dass sie endlich aufhören soll, Wissenschaft abzulehnen!" Lass die IDSA auf Stopp ablehnen Wissenschaft!" und "Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose sterben: Kämpft für eine Heilung!" IDSA-Mail-Server, Faxgeräte, Telefonleitungen und die Social-Media-Seiten werden mit wütenden Forderungen bombardiert.

Was für eine Wendung - vom seinerzeit ruhigen Abendessen im kleinen Kreis in den frühen IDSA-Tagen. Wie ist es dazu gekommen? Wir haben es mit einer weltweiten Borreliose-Epidemie zu tun, die sich schleichend entwickelt hat. Ungezählte Millionen Menschen leiden und sind aufgrund der veralteten IDSA-Leitlinie nicht in der Lage eine adäquate Behandlung zu erhalten. Glauben die verantwortlichen IDSA-Mitglieder etwa, sie nähmen immer noch an einem stillen, netten Abendessen teil? Haben sie die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt? Hat sich die IDSA in eine riesige medizinische LinkedIn-Gruppe verwandelt, in der man Teil einer renommierten Organisation ist und dies im Lebenslauf dokumentiert. Vielleicht sichert einem das eine gut bezahlte Sprecherposition oder es hilft bei der Bewerbung um den nächsten Job? Das zumindest sagen die Protestierenden.


Ein Großteil des Streits zwischen den IDSA-Forschern und den Patienten dreht sich um den Begriff der chronischen Infektion. Die IDSA-Leitlinien unterstellen, dass die Borrelien immer nach einer einfachen zwei- bis vierwöchigen Gabe von Antibiotika ausgerottet sind. Die geschwächten Patienten, die teilweise durch Borreliose gelähmt sind, kämpfen für die Wahrnehmung und Anerkennung, dass die Infektion persistieren kann.

Eine wachsende Zahl von Forschungsveröffentlichungen stützt ihre Forderungen. Siebenundsiebzig Peer-Reviewed-Studien von 1977 bis 2012 zeigen, dass die Lyme-Borreliose trotz der empfohlenen IDSA-Behandlung fortbestehen kann. Und doch scheint es nicht einen Forscher unter den 9000 IDSA-Mitgliedern zu geben, der das Rückgrat hat, für die Patienten einzutreten. Nicht ein Einziger scheint die intellektuelle Neugier zu haben und darauf zu bestehen, dass die IDSA ihre Annahmen und These, dass Borreliose immer nach 2 - 4 Wochen Antibiose geheilt sei, ernsthaft und ohne Bias zu überprüfen.

Inzwischen explodieren die Krankheitszahlen. Im Jahr 2013 ließ die CDC verbreiten, statt der 30.000 neue US-Fälle jährlich, erkranken wahrscheinlich 300.000.  Experten gehen davon aus, dass selbst diese Zahl noch deutlich unter der realen Inzidenz liege. In einem kürzlich vorgestellten Film über die weltweite Borreliose-Epidemie "Lyme Disease: A Silent Epidemic" diskutieren Forscher, dass 25 Prozent der afrikanischen Stämme die Lyme-Krankheit haben, die jedoch oft als Malaria diagnostiziert wird.

Die diagnostischen Kriterien und die Behandlungsempfehlungen IDSA sind und entsprechen nicht mehr dem aktuellen Wissensstand. Das Nationale Leitlinien-Clearinghouse (NGC), Teil des US Department of Health and Human Services, listet Leitlinien für die meisten Krankheiten. Seit 2006 wurden die IDSA-Leitlinien nicht mehr überarbeitet, obwohl die NGC-Regeln verlangen, dass Leitlinien alle fünf Jahre überarbeitet werden müssen.

In den letzten acht Jahren gibt es zunehmend kritische Forschung, die die Möglichkeit einer chronischen Infektion nahelegt. U.C. Davis-Forscher Stephen Barthold beispielsweise hat die Persistenz der Borrelien-Infektion bei Mäusen gezeigt und die Tulane University-Wissenschaftlerin Monica Embers fand in der Primaten-Studie im Jahr 2012 Borrelien-Persistenz bei den Rhesusaffen. Studien wie diese werfen zunehmend die Frage auf , warum die IDSA-Wissenschaftler, die sich angeblich die Förderung der Exzellenz in der Patientenversorgung, in der Forschung und öffentlichen Gesundheit verschrieben haben, nicht auf den fahrenden Zug springen und selbst stärker zum Thema Persistenz forschen?


Wir alle kennen inzwischen die Antwort: Von einem IDSA-Leitliniengremium, das mehrheitlich unter finanziellen Interessensverflechtungen mit Versicherungskonzernen und Pharmaunternehmen leidet, deren Mitglieder Patente angemeldet haben, Diagnosesets vertreiben und Versicherungen beim Abschmettern von Patientenanfragen "beraten", kann keine biasfreie Forschung erwartet werden.

Doch die IDSA als m
edizinische Gesellschaft, die solche Leitlinien veröffentlicht, hat die juristische und moralische Pflicht,  Schutzmaßnahmen zu ergreifen und hohen wissenschaftlichen Standards zu genügen.

Es ist für die verantwortlichen IDSA-Mitglieder höchste Zeit von ihren Tellern beim Abendessen aufzuschauen, die unzähligen Borreliose-Patienten wahrzunehmen, die auch nach einer 4-wöchigen Therapie noch krank sind und sich an ihre Verpflichtung zu erinnern, Menschen zu helfen. Sie müssen für neue Forschungsteams sorgen, die den Fokus auf die Frage: "Wenn diese große Gruppe von kranken Patienten nicht an chronifizierter Borreliose leidet, woran leiden sie dann?"

Es ist für die IDSA-Mitglieder an der Zeit wieder zu ihren ursprünglich edlen Zielen zurückzukehren.  Wormser et al. fahren mit ihrem Zug mit Volldampf in die Vergangenheit. Sie sprechen bei anderen von "Anti-Wissenschaft" und "ethischen Bedenken", während sie selbst jede neue Erkenntnis, die nicht ihren Thesen entspricht, ignorieren. Wissenschaft = Wissen schaffen. Wormser und seine Leitlinienkollegen scheinen vergessen zu haben, dass Forschung die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen ist. Forschung soll u. a. helfen, Probleme zu lösen und Leid zu lindern. Nichts von dem haben die IDSA-Verantwortlichen bislang umgesetzt. Was braucht es, um den Geist und die Ethik jener zu ändern, die glauben, dass alle Patienten immer nach spätestens vier Wochen Doxycyclin geheilt sind?


Es ist schon ein Problem mit der Anti-Wissenschaft.

 

B. Jürschik-Busbach © 2014

 

Quellen:

http://lymedisease.org/news/tag/idsa-lyme-protest

http://www.myfoxdc.com/story/25599110/protestors-push-idsa-for-change-on-treatment-of-lyme-disease#axzz33b2gcqpG

http://www.huffingtonpost.com/c-m-rubin/the-global-search-for-edu_b_5425169.html

http://lymedisease.org/activism/idsa-protest-why.html

http://www.truth-out.org/news/item/24027-irate-lyme-disease-patients-storm-dinner-party-at-idsa-headquarters

http://www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099%2811%2970034-2/abstract

 

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